Der Sauerländer

Da man sich selbst gegenüber ja nicht objektiv sein kann, hier eine Beschreibung des Sauerländers aus dritter Quelle.

Von: Annette von Droste-Hülshoff

Wir haben im vorhergehenden den Charakter der Eingeborenen bereits flüchtig angedeutet und gesagt, dass, dem gewöhnlichen Einflusse der Natur auf ihre Zöglinge entgegen, am verhältnismäßig in einem zahmen Land aufgenährten Paderborner der Stempel des Bergbewohners, sowohl moralisch als körperlich, weit entschiedener hervortritt als an dem durch seine Umgebungen weit mehr dazu berechtigten Sauerländer. Der Grund liegt nahe: in den Handelsverhältnissen des letzteren, die seine Heimat den Fremden öffnen und ihn selbst der Fremde zutreiben, wo unter kaufmännischer Kultur die Sitten, durch auswärtige Heiraten das Blut seines Stammes sich täglich mehr verdünnen, und wir müssen uns eher über die Kraft einer Ader wundern, die, von so vielen Quellen verwässert, doch noch durchgängig einen scharfen, festen Strich zeichnet, wie der Rhein durch den Bodensee. Der Sauerländer ist ungemein groß und wohlgebaut, vielleicht der größte Menschenschlag in Deutschland, aber von wenig geschmeidigen Formen; kolossale Körperkraft ist bei ihm gewöhnlicher als Behendigkeit anzutreffen. Seine Züge, obwohl etwas breit und verflacht, sind sehr angenehm und bei vorherrschend lichtbraunem oder blondem Haar haben doch seine langbewimperten blauen Augen alle den Glanz und den dunkelen Blick der schwarzen.

Seine Physiognomie ist kühn und offen, sein Anstand ungezwungen, so daß man geneigt ist, ihn für ein argloseres Naturkind zu halten als irgendeinen seiner Mitwestfalen; dennoch ist nicht leicht ein Sauerländer ohne einen starken Zusatz von Schlauheit, Verschlossenheit und praktischer Verstandesschärfe, und selbst der sonst Beschränkteste unter ihnen wird gegen den gescheitesten Münsterländer fast immer praktisch im Vorteil stehen. Er ist sehr entschlossen, stößt sich dann nicht an Kleinigkeiten und scheint eher zum Handel und gutem Fortkommen geboren als dadurch und dazu herangebildet. Seinen Neigungen sind heftig, aber wechselnd, und so wenig er sie jemands Wunsch zuliebe aufgibt, so leicht entschließt er sich, aus eigener Einsicht oder Grille hierzu. Es ist ein rastloser und zumeist glücklicher Spekulant, vom reichen Fabrikherrn, der mit Vieren fährt, bis zum abgerissenen Herumstreifer, der „Kirschen der Lumpen“ ausbietet: und hier findet sich der einzige Adel Westfalens, der sich durch Eisenhämmer, Papiermühlen und Salzwerke dem Kaufmannsstnad anschließt.

Obwohl der Konfession nach katholisch, ist das Fabrikvolk doch an vielen Orten bis zur Gleichgültigkeit lau und lacht nur zu oft über die Scharen frommer Wallfahrer, die vor seinen Gnadenbildern bestäubt und keuchend ihre Litaneien absingen, und an denen ihm der Klang des Geldes, das sie einführen, bei weitem die verdienstvollste Musik scheint.

Übrigends besitzt der Sauerländer manche anziehende Seite; er ist mutig, besonnen. Von scharfem, aber kühlem Verstande; obwohl im allgemeinen berechnend, doch aus Ehrgefühl bedeutender Aufopferungen fähig; und selbst der geringste besitzt einen Anflug ritterlicher Galanterie und einen naiven Humor, der seine Unterhaltung äußerst angenehm für denjenigen macht, dessen Ohren nicht allzu zart sind.

Das in einem Lande, wo die Viertel der Bevölkerung, Mann, Weib und Kind, ihren Tag unter fremden Dache ( in den Fabrikstuben) zubringen oder auf Handelsfüßen das Land durchziehen, die häuslichen Verhältnisse sehr locker, gewissermaßen unbedeutend sind, begreift sich wohl; so wie aus dem Gesagten hervorgeht, dass nicht hier der Hort der Träume und Märchen, der charakteristischen Sitten und Gebräuche zu suchen ist; denn obwohl die Sage manche Kluft und unheimliche Höhle mit Berggeistern und den Gespenstern Ermordeter oder in den Irrgängen Verschmachteter bevölkert hat, so lacht doch jedes Kind darüber, und nur der minder beherzte oder phantasiereichere Reisende fährt zusammen, wenn ihm in dem schwarzen Schlunde etwa eine Eule entgegenwimmert, oder ein kalter Tropfen von den Steinzapfen in seinen Nacken rieselt.

Kurz, der Sohn der Industrie besitzt vom Bergbewohner nur die eiserne Gesundheit, Körperkraft und Entschlossenheit, aber ohne den romantischen Anflug und die Phantasie, welche sich an großartigen Umgebungen zu entwickeln pflegen – er liebt sein Land, ohne dessen Charakter herauszufühlen; er liebt seine Berge, weil sie Eisen und freien Atemzug, seine Felsen, weil sie vortreffliches Material und Fernsichten, seine rauschenden Wasserfälle, weil sie den Fabrikrädern rascheren Umschwung geben, und das Ganze endlich, weil es eben seine Heimat und in dessen Luft ihm am wohlsten ist.

Seine Festlichkeiten sind, nach den Umständen des Gastgebers, den städtischen möglichst nachgebildet; seine Trachten desgleichen. Alles wie anderwärts, staubende Chausseen mit Frachtwagen und Einspännern beideckt – Wirtshäuser mit Kellnern und gedruckten Speisezetteln; einzelne Dörfer im tiefsten Gebirge sind noch strohdachig und verfallen genug, die meisten jedoch, nett wie alle Fabrikorte, erhalten allein durch die schwarze Schieterbekleidung und die mit Steinplatten beschwerten Dächer, die man hier der Rauhigkeit des Klimas entgegensetzen muß, einen schwachen Anstrich von Ländlichkeit, nur die Kohlenbrenner in den Waldungen, die beiden Hammerschmiede vor ihren Höllenfeuern und die an den Stollen mit Lederschutz und blitzenden Bleierz auf ihrem Kärrchen aus- und einfahrenden Bergknappen geben der Landschaft hier und dort einen passende Staffage.